Liebe Leserinnen und Leser,
„Die Realität macht mich fertig!“, so habe ich es vor kurzem in einem Gespräch von einem Menschen gehört. Und ganz ehrlich? Ich kann diese Aussage sowas von nachvollziehen! Und in der Tat: real ist dass, was Wahrheit und Wirklichkeit ist. Daran ändern auch persönliche Wünsche, Überzeugungen und Fantasien überhaupt nichts. Und so ist es dann wohl, dass wir nach all den Einschränkungen und Veränderungen des Frühjahrs und Sommers nun vor einer völlig veränderten Advents- und Weihnachtszeit stehen. Vieles kann schon seit Monaten nicht mehr so sein, wie wir es kannten und auch mochten. Diese Realität mit dem Corona-Virus macht auch vor der besonderen Zeit des Jahres nicht halt. Und so ist es Realität, dass Weihnachtmärkte ausfallen, der Glühweinduft nicht durch unsere Straßen und Nachbarschaften zieht. Wir verzichten auf das Adventssingen und auf Bläserklänge, auf Chorproben und Adventsfeiern. Wir werden Weihnachtsbäume mit Abstand und Mundschutz kaufen und uns überlegen, mit wem wir die besonderen Tage verbringen wollen, können und dürfen.
Auch in unseren Kirchen wird in diesem Advent und an Weihnachten vieles anders sein. Wo ich mich sonst über volle Reihen und über wirklich jede und jeden gefreut habe, müssen wir auf Abstand und Rückverfolgbarkeit achten. Wir tun das gerne, um mit diesen Regeln diese Pandemie zu besiegen und um Menschen zu schützen. Aber: diese Einschnitte treffen uns. Vielleicht tun sie es in diesen Wochen mehr, als sie es ohnehin im Sommer taten. „Die Realität macht mich fertig!“, so sagte es mir mein gegenüber. Ja! Ich kann das verstehen. Aber: Es ist die Realität, die uns derzeit und für den jetzigen Moment umgibt. Auch hier gilt: Meine Erinnerungen an ein Weihnachten, wie es noch vor einem Jahr war, meine Traurigkeit, mein Ärger, vielleicht meine Wut und meine Wünsche… sie verändern die Realität nicht.
Und dann denke ich bei mir: vor über 2000 Jahren kam dieser kleine, große Mensch Jesus von Nazareth in Betlehem zur Welt. Er wurde nicht in ein Paradies geboren. Im Gegenteil! Die Realität -also die Wirklichkeit- die seine Geburt umgab war auch von Sorgen und Alltäglichkeiten geprägt. Es ereignet sich kein „Heile-Welt-Theater“ in dem Gott seine Menschwerdung inszeniert. Es ereignet sich knallhartes und normales Leben in all seinen Facetten. In diese Realität hinein macht Gott ernst. Ich kann mir nur ausmalen, wie diese Realität gewesen sein mag. Ich sehe eine Maria, die wahrscheinlich ihre eigenen Pläne durchkreuzen lassen musste. Ich sehe einen Josef, dessen Person und Rolle radikal infrage gestellt wurde. Ich sehe eine junge Familie, die vor immensen Herausforderungen stand und schon bald in die Flucht getrieben wurde. Ich sehe Hirten, deren harte und mühsame Arbeit auf den Feldern vor der Stadt war. Aber: Ich sehe auch den prächtigen Engel, der in all diesen irdischen Realitäten plötzlich von Himmlischen kündet. Ich sehe die Weisen aus dem Morgenland, die drei Könige, die trotz aller Mühen ihren Visionen gefolgt sind. Gott wird Mensch!
Das bedeutet: Er ist spätestens seit Weihnachten in der Realität angekommen. Das macht Mut. Und darum gilt 2020 erst Recht, was das alte Weihnachtslied sing: „Welt ging verloren – Christ ist geboren. Freude dich, du Christenheit!“ Singen und summen wir dieses Lied in diesen Tagen was das Zeug hält. Diese Botschaft macht Mut und sie stimmt. Hanns Dieter Hüsch sagte einmal: „Das tröstet! Und was tröstet, dass gibt es auch!“.
In diesem Sinne wünsche Ich Ihnen und Ihren Familien und Freunden eine gesegnete Advents- und Weihnachtszeit. Die Welt mag in diesen Tagen anders sein… aber: sie ist nicht verloren. Realität ist, dass das kleine Kind in der Krippe uns Grund zur Freude ist. Trotz-dem!
Ihr Dr. Bastian Rütten (Pastoralreferent an St. Marien, Kevelaer)